Pflegen und gepflegt werden
Nach mehreren Operationen weiß ich, wie es sich anfühlt gepflegt und betreut zu werden, und durch die Zeit mit meiner unheilbar kranken Freundin Judith habe ich dann erfahren, wie es sich, als Pflegerin und Betreuerin bis zu ihrem letzten Atemzug, von der anderen Seite her anfühlt.
Was ich von beiden Seiten gelernt habe – sowohl als Betreuerin als auch Betreute – ist die unabdingbare Notwendigkeit, sich zuallererst um sich selbst zu kümmern. Ohne diese Voraussetzung fehlt der Betreuung die wirkliche Qualität und kann von der betreuten Person (Patient) weder begrüßt noch geschätzt werden. Als Patientin kann ich sagen, dass es ziemlich unangenehm ist, von jemandem betreut zu werden, der gestresst, erschöpft oder mit zu viel Koffein oder was auch immer aufgeputscht, nicht präsent und mit sich selbst nicht im eins ist.
Unter diesen Energien leidet dann die Pflege.
Die Berührung ist nicht sanft und manchmal sogar rau und hart, alles geht schnell und nach Vorschrift, berücksichtigt aber weder körperliche Bedürfnisse noch persönliche Wünsche; es passieren leichter Fehler oder man wird nicht einmal gefragt, wie es einem geht. Und manchmal wird man nicht einmal informiert, was als nächstes passiert.
Das habe ich vor allem in Krankenhäusern erlebt, wo der Druck und Stress wegen Personalmangels groß war. Und wenn man sich höchst empfindlich, sensibel und verletzbar fühlt, ist es sehr unangenehm, diese Energie um sich herum zu haben.
Zu Hause vom Personal einer Organisation betreut zu werden – entweder direkt durch die Gesundheitsbehörde oder von einer privaten oder gemeinnützigen Organisation – war meist viel besser.
Trotzdem musste ich die Hilfe zweier Frauen, die mir im Haushalt helfen sollten, liebevoll ablehnen, weil die Art und Weise, wie sie sich im Haus bewegten vor allem für Judith recht störend war. Es war ganz so als hätten sie zehn Tassen Kaffee getrunken, auf Hochtouren und irgendwie high waren. Diese Energie ließ sogar mein eigenes Herz schneller klopfen.
Im Gegensatz dazu war die Fürsorge, die ich von Freunden und auch von Bekannten bekam, einfach schön. Ich wurde freundlich, liebevoll und sanft betreut und kann mich nicht daran erinnern, dass irgendwer jemals gestresst war.
Was auch höchst unangenehm ist, ist Mitleid. Mitleid zu bekommen ist sehr unangenehm und einfach keine Energie, die in irgendeiner Weise hilfreich oder unterstützend ist.
Die Energie, in der sich der Betreuer befindet, ist unglaublich wichtig. Wenn eine Pflegekraft sich im Alltag zuerst liebevoll und zartfühlend um sich selbst kümmert, ist das eine gute Grundlage für die Betreuung anderer.
Da ich nach mehreren Operationen schon einige Male betreut worden war, hatte ich, als es an der Zeit war, mich um meine gute Freundin Judith zu kümmern, ein klares Gefühl dafür, was vonnöten war. Ich hatte weder pflegerische noch fürsorgliche Erfahrung, aber es war für mich ganz natürlich, als hätte ich es schon oft getan. Aber ich musste lernen, mehr auf meinen eigenen Körper zu hören, zu fühlen und sicherzustellen, dass ich mich nicht übernahm. Ich musste es lernen, nein zu sagen, wenn ich spürte, dass mein Körper zu etwas nicht in der Lage war.
Es kam der Zeitpunkt, als Judith auch nachts Hilfe brauchte und als ich mich selbst von einer weiteren Krebsoperation erholte, musste ich Nachtschichten bei ihr abzulehnen.
Später konnte Judith nicht mehr um Hilfe rufen und wir beauftragten jemanden, die ganze Nacht über bei ihr zu sitzen. Um die Qualität von Judiths Betreuung sicherzustellen, hatten wir zu diesem Zeitpunkt zwei Nachtschichten eingerichtet, so dass diejenige, die bei ihr war, nur die halbe Nacht blieb, während die zweite Kraft im Gästezimmer schlief.
Dadurch stellten wir sicher, dass für die Betreuer auch gesorgt war und sie sich Judith mit voller Kraft widmen konnten. Judith, mit ihrer bedingungslosen Liebe, unterstützte mich, auf meinen eigenen Körper zu hören und mich nicht zu überfordern. Wann immer sie fühlte, dass ich zu sehr in Aktion war, bat sie mich, einfach bei ihr zu bleiben; ich setzte mich dann zu ihr aufs Bett, war einfach nur mit und bei ihr und hörte eine Weile damit auf, immer nur zu machen und zu schaffen.
Jetzt lebe ich selbst mit unheilbarem Krebs und wäre bestimmt nicht da, wo ich jetzt bin und es würde mir nicht so gut gehen, hätte ich nicht dank Judith erlebt, was möglich und machbar ist. Ich habe gelernt, dass man mit einer unheilbaren Krankheit leben kann, dass man sich ihr völlig hingeben und, wenn es an der Zeit ist, würdevoll und glücklich sterben kann.
Die Fürsorge, die wir jemandem in dieser Zeit zukommen lassen, kann entweder zur Hingabe und zum Loslassen inspirieren oder den Heilungsprozess, der das Sterben sein kann, verhindern. can be.